Stille Reserven
Jedes "gesunde" Unternehmen wird danach streben, im Laufe der Jahre auch unter dem Aspekt der Steuerminimierung stille Reserven zu legen. Diese werden seitens des Unternehmens - insbesondere in Krisenzeiten - gegenüber den Kreditinstituten als Argument für die nach wie vor gegebene Bonität ins Feld geführt.
Bei Bewertung der stillen Reserven ist zu unterscheiden zwischen Liquiditätsreserven und anderen stillen Reserven, die bei Berücksichtigung innerhalb der Bilanzanalyse lediglich zu einer Verbesserung der Bilanzrelationen führen.
Im übrigen muss ein sehr strenger Bewertungsmaßstab angelegt werden, da die Erfahrung zeigt, dass in einer Krisensituation bzw. in der Insolvenz bei Verwertung der entsprechenden Vermögensgegenstände bei weitem nicht die Preise erzielt werden, die vom Unternehmen ursprünglich angenommen wurden. Häufig lassen sich dann nicht nur keine stillen Reserven realisieren, sondern es sind noch nicht einmal die Buchwerte zu erzielen.
Bei der Bildung von stillen Reserven ist wie folgt zu unterscheiden:
- Auf der Aktivseite entstehen stille Reserven durch die niedrigere Bewertung der Vermögensgegenstände.
- Auf der Passivseite dagegen werden stille Reserven durch einen erhöhten Ansatz von Verbindlichkeiten gebildet.
Stille Reserven im Umlaufvermögen
Hier bieten sich als Reservepositionen insbesondere an:
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie - Vorräte.
Reserven in Forderungen können sich durch nicht notwendige oder nicht mehr notwendige Abwertungen ergeben. Sofern die Forderungen kurzfristig fällig sind und die Bonität der Schuldner gegeben ist, können diese voll berücksichtigt werden.
Die typische Position, in der stille Reserven gebildet werden, sind die Vorräte bzw. - etwa bei Baufirmen - die noch nicht abgerechneten Leistungen.
Stille Reserven im Umlaufvermögen haben für das Unternehmen den Vorteil, dass sie - unterstellt, sie sind tatsächlich vorhanden - kurzfristig und still aufgelöst werden können. Die Reserven im Vorratsvermögen lösen sich letztlich automatisch im Rahmen des normalen Warenumschlages auf.
Stille Reserven im Umlaufvermögen sind somit für ein Unternehmen von besonderem Wert. Ihre Auflösung hat nicht nur rechnerisch bilanzielle, sondern vor allem auch liquiditätswirksame Auswirkungen.
Auch hier gilt jedoch, dass diese Reserven häufig nur unter dem Aspekt des going-concern-Prinzips vorhanden sind und sich im Falle einer Insolvenz nicht realisieren lassen.
Für den externen Analytiker, beispielsweise ein Kreditinstitut, wird es in der Regel außerordentlich schwierig sein, stille Reserven im Vorratsvermögen nachzuvollziehen und bei der Unternehmensanalyse zu berücksichtigen. Aus der Bewertungspolitik lassen sich allerdings Indizien für bzw. gegen das Vorhandensein stiller Reserven ableiten. Eine konkrete Bewertung dieser Reserven ist einem Kreditinstitut jedoch in der Regel nicht möglich.
Ausnahme: Aus der Bilanz oder dem Anhang ist ersichtlich, dass Importwarenabschläge vorgenommen oder Preissteigerungsrücklagen gebildet wurden (also Anwendung von Passivierungswahlrechten). Auch in diesen Fällen müssen die stillen Reserven jedoch auf Basis der aktuellen Produkt-, Preis- und Marktsituation kritisch gewürdigt werden.
Stille Reserven im Anlagevermögen Sachanlagevermögen
Im Sachanlagevermögen werden in der Regel stille Reserven in erheblichem Umfange vorhanden sein, da die steuerlichen Abschreibungszeiträume für Anlagegüter kürzer sind als deren tatsächliche Nutzungsdauer.
Für Reservebildung bieten sich insbesondere die Grundstücke und Gebäude an. Hier führt allein - über langfristige Zeiträume betrachtet - die Inflation zwangsläufig zur Reservebildung. Grundstücke (ohne Berücksichtung der Gebäude), die zum Beispiel vor 50 Jahren erworben worden sind, stehen heute noch mit dem damaligen Anschaffungspreis zu Buche. Im Grundsatz kann man davon ausgehen, dass der heutige Verkehrswert weit über dem Buchwert liegt. Auch hier muss selbstverständlich der Einzelfall betrachtet werden. Insbesondere Lage und Drittverwendungsmöglichkeit müssen hierbei mit ins Kalkül gezogen werden.
Reserven im nichtbetriebsnotwendigen Grundvermögen können durch entsprechende Grundstücksverkäufe realisiert werden. Diese stellen somit sowohl eine bilanzielle wie auch liquiditätswirksame Reserve dar, wenn die angenommenen Werte zu erzielen sind. Sind die stillen Reserven jedoch im betriebsnotwendigen Grundvermögen gelegt worden, sind die Möglichkeiten der Auflösung eingeschränkt. Da wir bei der Unternehmensanalyse nicht vom Liquidations-Prinzip, sondern vom going-concern-Prinzip ausgehen, kommt die Veräußerung des Grundvermögens in der Regel nicht in Betracht. Eventuell vorhandene Reserven können dennoch für das Unternehmen nutzbar gemacht werden, sofern das Grundvermögen nicht oder nur gering belastet ist, so dass eine bankmäßige Beleihung in Frage kommt. Diese führt zwar zu keiner Aufbesserung der Eigenkapitalquote, würde jedoch dem Unternehmen die benötigte Liquidität bringen.
Eine andere Möglichkeit, stille Reserven im betriebsnotwendigen Grundvermögen zu nutzen, stellt das bekannte sale-and-lease-back-Verfahren dar.
Grundsätzlich sind sale-and-lease-back-Transaktionen als Krisensymptom anzusehen, da sie in der Regel nur als ultima ratio in einer Unternehmenskrise angewandt werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen es wirtschaftlich sinnvoll erscheint, eine solche Transaktion durchzuführen, so etwa die Nutzung steuerlicher Verlustvorträge.
Da die wirtschaftliche Nutzungsdauer die steuerlichen Abschreibungszeiträume in der Regel deutlich übersteigt, dürften im Maschinenpark grundsätzlich stille Reserven vorhanden sein. Diese Reserven sind jedoch nur im Rahmen eines Verkaufs nutzbar zu machen. Dieser scheidet aufgrund des going-concern-Prinzips aus. Zu einer Nachbeleihung von gebrauchten Maschinen werden sich Kreditinstitute kaum verstehen. Infolgedessen müssen Reserven im Maschinenpark bei der Unternehmensanalyse unberücksichtigt bleiben.
Bewertung stiller Reserven
Da zumindest unter dem going-concern-Prinzip in jedem Unternehmen stille Reserven vorhanden sein sollten, kommt ihrer Bewertung im Rahmen einer Unternehmensanalyse entsprechende Bedeutung zu. Hierfür können keine allgemeingültigen Rezepte gegeben werden. Die Möglichkeiten der Bewertung hängen vom Einzelfall ab. Trotz der aufgezeigten Problematik bezüglich der tatsächlichen Realisierung derartiger Reserven können diese nicht grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Sie sollten jedoch in die Bewertung nur dann Eingang finden, wenn es dem Kreditinstitut möglich ist, verlässlich die tatsächliche Differenz zwischen Buchwert und Verkehrswert zu ermitteln.
In jedem Fall muss differenziert werden, ob es sich um rechnerische - also nur die Bilanzrelationen verbessernde - Reserven handelt oder ob die stillen Reserven auch tatsächlich Liquiditätsreserven beinhalten.