Informationsbasis für die Bonität und Entscheidungsvorbereitung
Neben dem Jahresabschluss und dem Lagebericht bzw. Geschäftsbericht stehen im wesentlichen Brancheninformationen, beispielsweise aus Presseberichten oder hausinternen volkswirtschaftlichen Abteilungen, zur Verfügung.
Dieses Material allein ist jedoch nicht ausreichend, sondern liefert lediglich Anregungen und Hinweise für entsprechende Fragestellungen an das Unternehmen.
Die entscheidungsrelevanten aktuellen Informationen können nur aus dem Unternehmen selbst kommen. Insofern steht das Informationsgespräch mit dem Unternehmen oder seinen Mitarbeitern bei der Bonität im Vordergrund.
Angesichts der Konkurrenzsituation im Bankenbereich stellt sich hier die Frage, ob ein Unternehmen überhaupt bereit ist, umfangreiche zusätzliche Informationen über den Jahresabschluss incl. Anhang und Lagebericht hinaus zu geben.
Die Erfahrung in der Praxis hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, die notwendigen Informationen zu den einzelnen Prüfungsfeldern der Bonitätsbeurteilung zu erhalten, sofern man das Gespräch mit dem Unternehmen in angemessener Form führt.
Beim Kunden darf nicht der Eindruck entstehen, dass im Gespräch Fragen gestellt werden, um im Anschluss korrekt und "beamtenmäßig" einen Kreditantrag ausfüllen zu können.
Um eine Kreditentscheidung treffen zu können, muss die Vielzahl der Informationen über ein Unternehmen systematisch aufbereitet werden. Die Systematik sollte sich an den vier Hauptprüfungsfeldern orientieren. Die künftige Leistungsfähigkeit eines Unternehmens lässt sich nicht durch Kennziffern mathematisch errechnen. Weder für die Bilanz noch für die Unternehmensanalyse konnte bisher ein System entwickelt werden, das zum Beispiel über entsprechende Diskriminanzkennziffern-Automatismen Fehlentscheidungen im Kreditgeschäft verhindern kann. Ziel der zukunftsbezogenen Bonität muss daher eine Stärken- und Schwächen-Analyse sein, die durch möglichst viele objektive und konkrete Fakten zu unterlegen ist. Hierbei sind unternehmensinterne Faktoren genauso zu berücksichtigen wie Branchen- und sonstige volkswirtschaftliche Daten. Auf dieser Informationsbasis gilt es, die künftigen Chancen und Risiken eines Unternehmens zu analysieren.
Für eine Stärken-Schwächen-Analyse sei folgendes Bewertungsmodell beispielhaft vorgestellt: Eine Bewertung wird in drei Kategorien vorgenommen:
- + = In diesem Bereich weist das Unternehmen Stärken auf, so dass ihm hier besondere Chancen in der Zukunft beizumessen sind.
- 0 = Auf diesem Gebiet bestehen weder Stärken noch Schwächen; es ist nicht erkennbar, dass sich das Unternehmen in diesem Bereich von der Konkurrenz abhebt.
- /. = In diesem Bereich sind Schwächen festzustellen; für die Zukunft können sich hieraus Risiken für das Unternehmen ergeben.
Um die Entscheidungsgrundlagen möglichst zu objektivieren, ist es notwendig, die Bewertung nach diesen Kategorien für möglichst viele Einzelfelder vorzunehmen. Hieraus lässt sich zwar dann kein mathematisches "Ergebnis" ableiten. Die Systematik zwingt jedoch dazu, zunächst die Einzelfelder objektiv zu beurteilen, ohne dem Gesamtergebnis vorzugreifen. Würde man diese Bewertung auf ein oder zwei Hauptfelder einschränken, so bestünde die Gefahr, aufgrund eines vordergründig gebildeten Urteils ein falsches Gesamturteil vorwegzunehmen. Die negative Beurteilung einzelner Felder bedeutet aber noch nicht ein negatives Gesamturteil.
Die Entscheidungsvorbereitung könnte nach folgendem Modell ablaufen:
- A. Management
- B. Produktprogramm
- C. Absatzmärkte und Abnehmerstruktur
- D. Lagerrisiko
- E. Beschaffungsmärkte E Produktionstechnologie und Rationalisierungsgrad
- G. Forschung und Entwicklung
- H. Konkurrenzsituation
- I. Finanzwirtschaftliche Position
- J. Ergebnis der Bilanzanalyse
- K. Aktuelle Zahlen des Unternehmens
- L. Votum
Für die Bonitätseinschätzung sind die entscheidungsrelevanten Tatbestände darzustellen und zunächst einzeln zu bewerten. Im abschließenden Votum sind dann Stärken und Chancen den Schwächen und Risiken eines Unternehmens gegenüberzustellen, um zu einem aussagekräftigen Urteil zu gelangen.
Fallbeispiel
Die Systematik für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens soll im folgenden anhand eines Fallbeispiels der Elektromotoren GmbH dargestellt werden. Bewertungskategorien:
- + (positiv) - (negativ) 0 (neutral)
- A. Management Zwei Geschäftsführer:
- Herr Meyer: 43 Jahre, Mitgesellschafter zu 40 %
- Aufgabengebiet: Vertrieb und Finanzen
- Herr Emsig: 63 Jahre
- Aufgabengebiet: Produktion und Entwicklung
- Zweite Ebene: Vier Prokuristen mit getrennten Zuständigkeiten:
- Vertrieb, Finanzen, Produktion, Entwicklung.
- Herr Meyer hält sich jeweils für mehrere Monate im Ausland auf und will sich aus der Geschäftsführung zurückziehen. Sein Aufgabenbereich wird im wesentlichen durch die für Vertrieb und Finanzen zuständigen, langjährig in der Firma tätigen Prokuristen abgedeckt. Herr Emsig ist der eigentliche spiritus rector des Unternehmens. Seine Nachfolge wäre nach seiner Einschätzung aus der zweiten Ebene gesichert. Ein Nachfolger für Herrn Meyer wird extern gesucht.
- Bewertung: -
- Begründung: Die Bereiche Vertrieb und Finanzen sind auf Geschäftsführerebene zur Zeit nicht ausreichend abgedeckt.
- B. Produktprogramm
- Klein-, Mittel- und Großmotoren bis zur Baugröße von 5.000 kW. Die Produkte werden insbesondere von der Maschinenbauindustrie, der Chemischen Industrie, von Aufzugsfirmen und im off-shore-Bereich gekauft.
- Es werden "maßgeschneiderte" Kleinserien erstellt. Das Unternehmen gilt bei seinen Abnehmern als "Problemlöser".
- Bewertung: +
- Begründung: Produktprogramm verteilt sich auf mehrere Bereiche. Die Absatzerfolge der Vergangenheit sprechen für die Qualität der Produkte. Die Fähigkeit, auf die individuellen Wünsche der Kunden einzugehen, stärkt die Position des Unternehmens insbesondere gegenüber der Großindustrie.
- C. Absatzmärkte und Abnehmerstruktur Die Abnehmer verteilen sich auf folgende Branchen:
- 40 % Maschinenbau
- 30 % Chemische Industrie,
- 20 % off-shore-Technik,
- 10 % sonstige.
Das Debitoren-Risiko ist breit gestreut. Es besteht Warenkreditversicherung mit 20 Prozent Selbstbehalt. Die hohe Zielgewährung ist auf Exportgeschäfte zurückzuführen, für die man längerfristige Zahlungsziele gegen Akzept und Bankaval einräumt. Ferner wurde ein Großauftrag Ende Dezember abgerechnet.
- Exportanteil: 30 % (ausschließlich EG-Länder)
- Im Bereich off-shore Technik ist die Nachfrage stark rückläufig. Im Berichtsjahr konnten nur unter erheblichen Preiszugeständnissen Aufträge in dieser Sparte hereingenommen werden. Man muss davon ausgehen, dass die Nachfrage in diesem Bereich im laufenden Jahr völlig zusammenbricht.
- D. Lagerrisiko
- Zu 80 Prozent auftragsbezogene Produktion. Lediglich bei Standardmotoren mit geringem Absatzrisiko ist Vorratshaltung im Hinblick auf die kurzfristigen Auftragserteilungen notwendig.
- Bewertung: 0
- Begründung: Es sind keine gravierenden Risiken erkennbar, da vorwiegend auftragsbezogen produziert wird und Lagerhaltung nur für Standardmotoren notwendig werden könnte.
- E. Beschaffungsmärkte
- Das Unternehmen verfügt über eine extreme Fertigungstiefe. Im wesentlichen werden Metalle als Rohstoffe bezogen. Angesichts der überwiegend auftragsbezogenen Fertigung sind keine überproportionalen Preisrisiken auf der Beschaffungsseite zu erkennen. Rohstoffe werden jeweils unmittelbar nach Auftragserteilung bezogen, so dass Preisschwankungen bei den Rohstoffpreisen (Kupfer!) die Kalkulation nicht beeinträchtigen.
- Bewertung: 0
- Begründung: Keine Abhängigkeiten, Rohstoffe sind in ausreichendem Umfange verfügbar, keine erhöhten Preisrisiken.
- F. Produktionstechnologie und Rationalisierungsgrad
- In der Vergangenheit wurden kontinuierlich Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen vorgenommen. Vor drei Jahren wurden aus Gründen der Rationalisierung sowohl im Konstruktions- wie im Produktionsbereich EDV-gestützte Systeme eingeführt.
- Die Entwicklung der Pro-Kopf-Leistung zeigt die Verbesserung der Produktivität in den letzten Jahren. In den vergangenen drei Jahren wurde die ProKopf-Leistung um 20 Prozent erhöht.
- Bewertung: +
- Begründung: Ständige Verbesserung der Produktivität.