Krisensymptome als Basis für Kredit Scoring
Im Rahmen der Bonitätsprüfung sind bestimmte Faktoren von hohem Diskriminanzwert zu beachten. Auch hier gilt jedoch, dass ein festgestellter Tatbestand durchaus ambivalent beurteilt werden kann.
Beispiel: Es tritt eine extreme Erhöhung der Akzeptverbindlichkeiten ein.
Ergebnis:
- Die Lieferanten sehen hierin eine Verschlechterung der Bonität und verlangen daher Akzepte oder:
- Das Unternehmen nutzt verstärkt den billigen Diskontkredit als Finanzierungsmittel (Umkehrwechsel).
Der Anstieg der Akzeptverbindlichkeiten muss geklärt werden. Der Tatbestand allein lässt keine Wertung zu.
Festgestellte Veränderungen können Krisensymptome darstellen. Die Symptome müssen jedoch auf ihre Ursache hin in jedem Einzelfall untersucht werden.
Krisensymptome und Faktoren bzw. Kennzahlen von hohem Diskriminanzwert sind Voraussetzung, um ein systematisches Kredit Scoring durchführen zu können. Für ein Kredit Scoring werden empirisch Merkmale ermittelt, die bei den nachträglichen Analysen von Insolvenzfällen festgestellt worden sind. Hieraus werden Diskriminanzkennzahlen oder Krisensymptome abgeleitet, die bei der Bonitätsprüfung und Kreditüberwachung systematisch eingesetzt werden. Im Firmenkundengeschäft bieten sich insbesondere die Informationen, die man aus der Kontoführung erhält, für den Aufbau eines Scoring Systems an.
Bisher hat man Scoring Systeme im wesentlichen im Konsumentenkreditgeschäft mit Erfolg eingesetzt. Die Banken bemühen sich darum, ähnliche Systeme auch für das Firmenkundengeschäft zu entwickeln. Für die Bonitätsprüfung kann sich der nachstehende beispielhafte Katalog von Krisensymptomen als nützlich erweisen.
Krisen-Symptome
1. Symptome im Unternehmensbereich:
- Rechtsformänderung (Haftungsbeschränkung),
- hohe Fluktuation im Management oder auf der 2. Führungsebene,
- Personalabbau, Kurzarbeit,
- überalterter Maschinenpark,
- sprunghafte Umsatzexpansion,
- verschlechterte Abnehmerbonität,
- plötzliche Änderung der Absatzmethode,
- plötzliches Überwechseln auf neue Produkte,
- geänderte Preispolitik (übertriebene Nachlässe, häufige Sonderangebote).
Kreditwürdigkeitsprüfung
2. Symptome im Finanzierungsbereich einschließlich Rechnungswesen:
- Buchungsrückstände,
- verspätete Erstellung bzw. Einreichung des Jahresabschlusses,
- mangelnde Bereitschaft für Offenlegung der Verhältnisse,
- Änderung von Bankverbindungen,
- verstärkte Regulierung von Warenschulden über Wechsel,
- Umwandlung von Warenverbindlichkeiten in Darlehen oder Gesellschaftsanteile,
- Prolongation fälliger Verbindlichkeiten,
- Überschreitung der Zahlungsziele.
3. Symptome aus der Geschäftsbeziehung Bank - Kreditnehmer:
- Laufend volle Inanspruchnahme der Kreditlinien,
- saisonale Umsatzschwankungen spiegeln sich nicht in der Kontoführung wider,
- nicht vorab abgestimmte Überziehungen,
- die valutarischen Salden liegen über den Buchsalden (z. B. valutarische Überziehung durch Kontoverfügung gegen Scheckeinreichung),
- Inanspruchnahme werden im Rahmen der Kreditlinie gehalten durch Einreichung von Eigen- oder Konzernschecks bzw. Überträge von anderen Banken, die erst vorgenommen werden, wenn die Tagesdispositionen anhand der der Bank vorliegenden Verfügungen bekannt sind,
- umsatzloses Konto (eingefrorener Saldo),
- der Kontoumsatz liegt deutlich über dem Geschäftsumsatz (Scheck- bzw. Wechselreiterei?),
- der Kontoumsatz sinkt bei unveränderter Inanspruchnahme,
- bei Wechseleinlösungen werden Respekttage ausgenutzt,
- Kontopfändungen,
- Kreditnehmer wird von der Landeszentralbank als nicht rediskontfähige Adresse angesehen.
Untersuchung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens und Bilanzanalyse
Nach Untersuchung der vier Hauptfelder der Bonitätsbeurteilung sollte die anhand der Strukturbilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung vorgenommene Bilanzanalyse nochmals überdacht werden. Insbesondere die Prüfung der "Leistungswirtschaftlichen Position" und der "Marktposition" kann zu Erkenntnissen führen, die Aussagen der Bilanzanalyse korrigierungsbedürftig machen.
- Beispiel 1: Es wird festgestellt, dass sich die Abnehmer eines Unternehmens vorwiegend in Branchen finden, die mit gravierenden Strukturproblemen zu kämpfen haben und zum Kapazitätsabbau gezwungen sind. Folgerung für die Bilanzanalyse: Wurden beim Ausweis der Debitoren tatsächlich alle Risiken berücksichtigt? Angesichts der Abnehmerstruktur kommt auch Erhöhungen des gewährten Zahlungsziels, die noch im Rahmen des Branchenüblichen liegen, Bedeutung zu! Der Umsatz des Vorjahres konnte zwar gehalten werden, doch stellt sich die Frage, welche Zugeständnisse angesichts der rückläufigen Absatzmärkte gemacht werden mussten, beispielsweise längere Zahlungsziele, Inkaufnahme schlechterer Bonitäten der Abnehmer.
- Beispiel 2: Bei stagnierendem Umsatz musste ein deutlicher Ergebnisrückgang hingenommen werden. Recherchen haben ergeben, dass zwei wesentliche Konkurrenzunternehmen neue, leistungsfähigere Produkte auf den Markt gebracht haben. Auswirkung auf die Bilanzanalyse: Angesichts der Konkurrenzsituation war der Umsatz nur über erhebliche Preiszugeständnisse zu halten. Unter Umständen decken die Verkaufspreise nicht mehr die Selbstkosten. Die Bewertung des Warenlagers muss entsprechend kritisch gesehen werden. Frage an das Unternehmen: Wurden ausreichende Bewertungsabschläge vorgenommen und rechtfertigen die Verkaufspreise, die im laufenden Jahr erzielt wurden, die Bewertung im Jahresabschluss?
- Beispiel 3: Ein Unternehmen arbeitet mit längerfristigen Bezugsverträgen für seine Rohstoffe. Diese werden auf US-Dollar-Basis abgeschlossen. Eine Absicherung über Devisentermingeschäfte erfolgt nicht. Zum Zeitpunkt der Bilanzanalyse ergibt sich gegenüber dem Bilanzstichtag ein deutlicher Anstieg des US-Dollar-Kurses. Folgerung für die Bilanzanalyse: Bereits bei Erstellung des Jahresabschlusses hat sich eine deutliche Erhöhung des Dollarkurses ergeben. Wurde dies noch im Jahresabschluss durch entsprechende Rückstellungen berücksichtigt (drohende Verluste aus schwebenden Geschäften)?
- Beispiel 4: Ein Unternehmen arbeitet in einem strukturbedingt rückläufigen Markt. Die Analyse hat ergeben, dass man Teilbetriebsstillegungen vornehmen muss. Folgerungen für die Bilanzanalyse: Trotz der grundsätzlichen Anwendung des going-concern-Prinzips muss in diesem Fall die Bewertung des Sachanlagevermögens unter Umständen unter Liquidationsaspekten vorgenommen werden. Es ist die Frage zu klären, ob die stillzulegenden Anlagen entsprechend abgeschrieben sind, so dass ihr Buchwert zumindest dem Liquidationswert entspricht. Im Zuge der Teilstillegung werden auch erhebliche Personalentlassungen notwendig werden. Wurden die Sozialplankosten durch entsprechende Rückstellungen im Jahresabschluss bereits berücksichtigt? Diese wenigen Beispiele mögen verdeutlichen, wie wenig aussagefähig eine Bilanzanalyse ist, die nicht das Umfeld eines Unternehmens berücksichtigt. Die Bilanzanalyse kann zwar durchaus bereits im Vorfeld interessante Informationen liefern als Ansatz für eine umfassende Unternehmensanalyse. Diese müssen jedoch im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung für einen Kredit um zusätzliche Erkenntnisse aus den vier Hauptprüffeldern der Bonitätsprüfung angereichert werden.